Politischer Aschermittwoch 2018

Veröffentlicht am 19.02.2018 in Veranstaltungen

Wie jedes Jahr präsentieren wir allen, die nicht persönlich beim Politischen Aschermittwoch dabei sein konnten, die Zusammenstellung aus den unterschiedlichsten Presseberichten zum Nachlasen:

"Mit uns zieht die neue Zeit"

Von einem krachenden Auftakt zum Landtagswahlkampf kann keine Rede sein: Eher gleicht der SPD-Aschermittwoch 2018 einer Werbeveranstaltung für den Mitgliederentscheid zum Koalitionsvertrag.

Wie schnell sich in der Politik die Zeiten ändern: Ein Jahr ist es erst her, da surfte die Bayern-SPD mit ihrem frisch gekürten Kanzlerkandidaten Martin Schulz beim Aschermittwoch in Vilshofen hoch oben auf der Euphoriewelle. Die Meinungsumfragen gingen durch die Decke, selbst eine Ablösung von Kanzlerin Angela Merkel schien greifbar. Knapp 5000 Genossen jubelten Schulz zu.

Es ist ein besonderer politischer Aschermittwoch 2018: Nie zuvor stand Deutschland um diese Zeit nach einer Wahl ohne neue Regierung da. Das beeinflusst die Stimmung bei den Reden der Partei-Oberen. Hadern mit der GroKo, Selbstzerfleischung, Personaldebatten: Die SPD durchlebt turbulente Zeiten. Die Stimmung in der Partei ist schlecht. In einer Krisensitzung mühte sich die SPD-Führung am Dienstagabend noch darum, die Kontrolle zurückzugewinnen. Bis zum Parteitag Ende April, bei dem Andrea Nahles übernehmen soll, wird  Olaf Scholz die Partei kommissarisch leiten. Am Morgen nach seiner Kür wartet der erste Auftritt als Vorsitzender, beim politischen Aschermittwoch der SPD in Vilshofen. Ist das wirklich die SPD? Vom Chaos der vergangenen Tage keine Spur. Am Politischen Aschermittwoch rückt die Partei zusammen.

Die SPD ließ auf ihrer Aschermittwochsveranstaltung in Vilshofen neben den seit gestern kommissarischen Vorsitzenden Olaf Scholz ihrer bayerischen Spitzenkandidatin Natascha Kohnen sprechen. Dabei sollte das eigentlich ja einfach nur ein ganz normaler politischer Aschermittwoch sein. Einer, bei dem der Bürgermeister von Vilshofen - wie immer ewig - und drei Tage lang in seiner Eröffnungsansprache Gäste begrüßt: von Abgeordneten über Staatssekretäre bis hin zum Präsidenten des bayerischen Gärtnereiverbandes. Ein Tag, an dem der Generalsekretär der bayerischen SPD dann die Namen der Regionen ins Mikrofon brüllt – und beim Wort „Niederbayern“ besonders lauter Jubel zurückhallt. Ein Tag für Bier und Brezeln. Das alles ist Tradition. Das alles geschieht auch, wie immer.

Vor einem Jahr verkündete die SPD stolz, 5000 Besucher bei sich zu haben - und damit angeblich den größeren Aschermittwoch zu veranstalten als die CSU. Diesmal gibt sie sich eher bescheiden. 2500 Gäste passen ins Zelt. Auf sie warten 2000 Brezn, 1000 Semmeln und ein ganzer Laster Bier. Auch der parteiinterne Streit ist offensichtlich. Mit ihren No-Groko-Flyern werben ein paar Jusos gegen eine neue große Koalition.

Von BR, Phoenix, ZDF über Münchner Merkur und Passauer Neue Presse bis zu dpa und Reuters - über 100 Journalistinnen und Journalisten sitzen teils seit gestern in den Startlöchern für die Reden, Interviews und Fotos von Natascha Kohnen und Olaf Scholz.

Das Zelt bei der SPD ist gut gefüllt. SPD-Fahnen werden geschwenkt. Soll hinterher niemand sagen, die Sozialdemokraten ließen sich hängen. Im Herbst ist schließlich Landtagswahl. Kurz musste Hauptredner Olaf Scholz noch warten, bevor er ins Zelt einziehen durfte.

Der Vilshofener Bürgermeister war mit seinen Begrüßungen noch nicht am Ende. Mit "Moin" begrüßte der Erste Oberbürgermeister von Hamburg schon mal die Journalisten. "Jetzt geht's nach vorne", prophezeit er für die SPD. Zumindest rein ins Festzelt geht's schon mal. Ein paar Bänke sind diesmal leer geblieben, ein paar rote Fahnen aber schwenken durch die Luft. Eisern klatschen die Besucher, bis Scholz und die bayerische Landeschefin Natascha Kohnen Platz genommen haben.

Manche bleiben am Morgen noch beim Kaffee, andere heben schon ein Weißbier bestellt. Bei der Rede des Bürgermeisters von Vilshofen, Florian Gams, klatschen sie sich schon mal warm. Florian Gams, SPD-Bürgermeister aus Vilshofen: "Wir sind stolz darauf, das Original des Politischen Aschermittwochs mit Euch hier am traditionellen Ort in Vilshofen zu feiern."

Als er Landeschefin und Spitzenkandidatin Natascha Kohnen erwähnt, wird es zum ersten Mal ein wenig lauter. So ekstatische Jubelgesänge wie vergangenes Jahr beim Auftritt von Martin Schulz aber erwartet kaum jemand. Die SPD stehe mit der Mitgliederumfrage zu einer erneuten Regierungsbeteiligung vor einer "schwierigen Entscheidung", es seien "schwierige Zeiten", so beginnt die erste Rede beim Aschermittwoch der SPD. Launig geht anders. "Jubel muss ja nicht immer sein", sagt eine Genossin.

Deftige Botschaften – das muss der neue Generalsekretär Uli Grötsch noch lernen

Es sei natürlich kein Aschermittwoch wie jeder andere für die SPD, weil die Partei sich in stürmischen Zeiten befinde, sagt Generalsekretär Uli Grötsch zu Beginn seiner Rede. In stürmischen Zeiten aber brauche es einen guten Steuermann. "Wer könnte besser ein Steuermann sein als ein Hanseat, zumal einer, der seit Jahren zeigt wie erfolgreiches Regieren geht und der in der Lage ist viel größere, einflussreichere Häuser zu führen als es das Hamburger Rathaus ist", begrüßt er Olaf Scholz, der als Finanzminister gehandelt wird, falls die SPD-Basis für eine neue große Koalition stimmt. Eigentlich verlangt die Tradition des politischen Aschermittwochs deftige Botschaften – das muss der neue Generalsekretär noch lernen. Als er dann alle Anwesenden im Schnelldurchlauf noch einmal begrüßt, erntet er dafür erste Pfiffe!

"Bayern ist fortan ein Freistaat!"

Markus Rinderspacher, SPD-Fraktionschef im Landtag erinnerte in seinem überzeugendem Grußwort an die ruhmreiche Tradition der SPD, daran wie wichtig die Partei für die Demokratie in Deutschland und Bayern war – und ist. Der 8. November 2018 soll nach dem Willen der SPD-Landtagsfraktion ein Feiertag sein und an die Gründung des Freistaats vor 100 Jahren erinnern. Der unabhängige Sozialdemokrat Kurt Eisner rief an diesem Tag die berühmten Worte: "Bayern ist fortan ein Freistaat!" Rinderspacher: "Die Seele der bayerischen SPD ist mit der Seele des Freistaats Bayern eng verwoben!" 100 Jahre Freistaat sind prägend für die bayerische Identität, stellte Rinderspacher fest, und Demokratie sei heute mehr denn je ein schützenswertes Gut. Demokratieerinnerung und Politikunterweisung müssten daher stärker gefördert werden. "Wir wollen, dass alle Bürger aktiv an den Demokratiefeierlichkeiten teilhaben können und nicht nur einige wenige Gäste im Münchner Nationaltheater auf Einladung des Ministerpräsidenten." Und er schoss sich auch auf Söders neues Steckenpferd ein: Heimat. Das sei nichts Ausgrenzendes, sondern etwas Offenes. "Heimat ist keine Verordnung zur Einheitlichkeit."

Landeschefin Natascha Kohnen hält eine flammende Rede

Vergangenes Jahr hat Kohnen nur die Schlussworte gesprochen. An diesem Aschermittwoch muss sie zeigen, dass sie Bierzelt und Wahlkampf kann. Mit Kohnen hat die Bayern-SPD eine charismatische Spitzenkandidatin. Dennoch sind die Aussichten im Freistaat für die Sozialdemokraten anhaltend schlecht. Ein halbes Jahr vor der Wahl hängt die Partei in den Umfragen bleischwer bei 15 bis 18 Prozent. Die Bundes-SPD war zuletzt keine große Hilfe und steht bei den Meinungsforschern nach den Unruhen der vergangenen Wochen inzwischen auf Bayern-Niveau.

Mit einem Küsschen über die Köpfe der Zuhörer hinweg bedankt sich Natascha Kohnen für den tosenden Begrüßungsapplaus. Doch auch die Landesvorsitzende der Bayern-SPD, designierte Spitzenkandidatin für den Landtagswahlkampf und stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei, gibt sich zunächst durchaus selbstkritisch. Kohnen sagte im Rückblick auf die Monate nach der Bundestagswahl, es seien mit der ursprünglichen Ablehnung einer neuen großen Koalition "vorschnelle Festlegungen" getroffen worden. Auch dies müsse nun vorbei sein.

Kohnen findet deutliche Worte in Richtung Berlin. "Unsere Partei hat in den letzten Wochen nicht immer das allerbeste Bild abgegeben", sagt sie und ruft gegen den Applaus an: "Da muss man nicht applaudieren, das muss man korrigieren!" Viele öffentliche Kommentare hätte man sich einfach sparen sollen. Zusammen mit Scholz werde sie alles daran setzen, dass die SPD nun wieder disziplinierter arbeite. Und dafür tut Kohnen im Festzelt in Vilshofen ihr Bestes. Mehr Respekt vor der Meinung des anderen, das erwarte sie sich von ihrer Partei, auch in der Diskussion um eine erneute Regierungsbeteiligung, für die Kohnen mit großer Leidenschaft wirbt. "Ja, unsere Partei ist anstrengend, aber sie ist vor allem aktiv und lebendig - und darauf können wir stolz sein." 2500 Neumitglieder gebe es allein in Bayern in der Partei seit dem 1. Januar, betont sie. Und darauf sei sie stolz. Und sie schießt in Richtung Union: "Mit einem ,Weiter so´ geben wir uns nicht zufrieden."

In den vielen Tagen der Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen sei ihr klar geworden, wie groß die Unterschiede zu CDU und CSU doch sind. In den letzten Jahren habe die SPD versäumt, diese Unterschiede herauszuarbeiten. Sie hat geworben für eine „Zweckgemeinschaft“ mit der Union, die man „mit kühlem Kopf“ eingehen müsse. Kohnen warb offen um Unterstützung bei den SPD-Mitgliedern für den Koalitionsvertrag. Die SPD habe sich in den Koalitionsverhandlungen in "ganz vielen Punkten" durchgesetzt. Auch viele Ministerposten habe man sich gesichert. Die Partei sei bereit, Verantwortung zu übernehmen und zu gestalten.

Sie hat mit reichlich Pathos auf all die Menschen hingewiesen, für die die SPD Verbesserungen erreichen könne, wenn sie sich auf die GroKo einließe. Die Kritik, der Koalitionsvertrag sei nicht der große Wurf, lässt sie nicht gelten. Sie spricht von der Alleinerziehenden, die aus der Arbeit in die Kita hetzt, wo ihr Junge als letzter auf der Bank sitzt, von der Rentnerin, die sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann. Für sie bringe der Koalitionsvertrag Verbesserungen. "Soll ich der Frau sagen, das ist nicht der große Wurf?", fragt Kohnen.

Sie hat über die FDP geschimpft, die „sich vom Acker macht, wenn es ernst wird“. Dann wendet sie sich der CSU zu, dem designierten Bundesinnen- und Bauminister Horst Seehofer etwa. Wenn einer einen neuen Job antrete, dann schaue man sich seine Zeugnisse an, ruft Kohnen. "Eine glatte Sechs" gibt sie Seehofer im "Fach Wohnen", ebenso im "Fach Integration". Markus Söder, den, "der angeblich Ministerpräsident werden will", greift Kohnen direkt an: 2000 neue Wohnungen wolle er bauen - dabei habe er erst vor wenigen Jahren 33 000 staatliche Wohnungen "verscherbelt". Das mache, rechnet Kohnen vor, ein Minus von 31 000 Wohnungen. Und stellt fest: "Das ist eine Verhöhnung der Menschen."

Zum ersten Mal entdeckt Kohnen - wie zuvor schon die Grünen und die Freien Wähler - das Thema Heimat für ihren Wahlkampf. Heimat, das heiße Tradition, ja, christliche Werte, aber auch Moderne, Offensein und nicht Abschottung, wie es die CSU verstehe, ruft Kohnen. Die im Aschermittwoch-Bierzelt üblichen Attacken unter die CSU-Gürtellinie spart sich Kohnen weitgehend: „Menschen in die Ecke zu drängen, ist nicht Heimat“, sagt sie in Richtung des möglichen Bundesheimatministers Horst Seehofer. Kohnen an die CSU: "Mein Verständnis von Heimat ist ein christliches und ein soziales. Ich denke sozial, ich bin christlich und deshalb bin ich in der Sozialdemokratie und nirgendwo anders!" Was der CSU-Chef in seinem „Austragsstüberl für ausrangierten Ministerpräsidenten“ unter Heimat verstehe, sei jedenfalls nicht der Heimat-Begriff der SPD: „Da geht es nicht um Ausgrenzung, da geht es um das Miteinander.“ Das löst Applaus aus, aber keine Jubelstürme.

Kohnen spricht frei, mit Leidenschaft. Spätestens jetzt ist klar, was sie damals gemeint hat, als sie angekündigt hat, die Menschen nicht nur mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen erreichen zu wollen. "Die ist ja ganz toll", sagt ein Parteifreund begeistert. In den Wahlkampf kann die SPD "mit Selbstbewusstsein, Stolz und mit aufrechter Haltung" gehen.

Es ist bereits nach 11 Uhr im Bierzelt. Die bayerische SPD-Chefin Natascha Kohnen hat die Stimmung gerade mit einem kämpferischen Auftritt für Scholz angewärmt.

„Moin, moin“,

sagt Olaf Scholz, als er seine Rede beim politischen Aschermittwoch der SPD beginnt. Und, immerhin, damit landet der Hanseat hier im niederbayerischen Vilshofen gleich ein paar Lacher. Ein einfacher Effekt. Aber er funktioniert. In seiner 35-minütigen Rede macht Olaf Scholz der verunsicherten Basis Mut. Doch weil die SPD- Spitze nun die Rückkehr zur Sacharbeit predigt, kann sie nur schwer polemisch werden. Aber auch Scholz, der die SPD jetzt bis zum Parteitag am 22. April kommissarisch führt, stichelt – und zwar gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Seehofer (CSU): CDU-Chefin Angela Merkel sei ebenso wie CSU-Chef Horst Seehofer ein Auslaufmodell. Nicht nur Seehofer habe offenbar „den Zenit seiner politischen Karriere überschritten, sondern wohl auch eine Frau aus dem Norden“. Zum Thema FDP und Regieren sagte er: "Die können das nicht." Deswegen sei halt seine Partei wieder dran. "Die SPD hat immer Verantwortung übernommen, auch in schwierigen Zeiten."

Es ist der erste große Auftritt von Scholz in einer ganz neuen Rolle. Seit Dienstagabend ist er Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschland, zumindest kommissarisch. Er führt jetzt also übergangsweise jene Partei, die 150 Jahre alt ist und – das ist der Eindruck der letzten Tage – doch kein bisschen weise zu sein. Eine Partei, die es länger gibt als die Bundesrepublik und in der sich zuletzt fast schon im Stundentakt alles zu ändern schien.

 

Wie Kohnen wählt Scholz einen ernsthaften Ton und bleibt seinem Ruf als nüchterner Hanseat treu, der für seine Kompetenz, aber nicht für sein rhetorisches Geschick bekannt ist. Das Bierzelt ist nun einmal nicht der natürliche Lebensraum des Hamburgers. Er ist bekanntlich keiner, der ein Publikum schwindelig reden kann. An die Begeisterung, die Kohnen dem Publikum entlockt hat, kann er nicht gleich anschließen. Es ist, wie es ist. Scholz verlässt sich auf das, was er kann. Anfangs versucht er sich noch an einem Scherz über die gescheiterte Jamaika-Koalition. Ursprünglich, also nach der Bundestagswahl, habe er ja gedacht, hier würde jetzt Reggae durch die Zelte klingen, sagt er. Aber dann hält er einfach eine gute und solide Rede. Mit mehr einfachen und klaren Hauptsätzen, als man es von Scholz gewohnt ist.

 

Scholz erzählt jetzt also die Geschichte, die eigentlich Martin Schulz erzählen wollte – bevor der Rheinländer darüber stürzte, dass er unbedingt Außenminister werden wollte. Obwohl er doch versprochen hatte, nicht in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) einzutreten.

 

Die Geschichte handelt davon, dass die SPD einen guten Koalitionsvertrag ausgehandelt habe. Der müsse jetzt umgesetzt werden. Weil Politik doch dazu da sei, konkret etwas für die Menschen zu erreichen. Scholz hat zahlreiche Beispiele parat: Wenn es um den Kampf gegen die sachgrundlose Befristung geht – ein Thema, bei dem die SPD etwas, aber beileibe nicht alles erreicht hat – wird Scholz ungewohnt deutlich. Heute könne ein Arbeitgeber faktisch hingehen und sagen: „Ich habe gar keine Gründe und trotzdem befriste ich dein Arbeitsverhältnis.“ Das, so sagt Scholz, „das ist eine Schweinerei“. Er fügt hinzu: „Damit werden wir Schluss machen.“ Ganztagsbetreuung müsse zum "nationalen Anliegen" werden. Beim Thema Wohnungsnot verweist er auf das gute Beispiel Hamburgs - mit ihm als Erstem Bürgermeister: "Es ist schon etwas Merkwürdiges, wenn in Bayern weniger Sozialwohnungen gebaut werden als bei mir in Hamburg." Scholz nennt Bildung, Digitalisierung und Sicherheit als große Zukunftsthemen. Und natürlich: Europa. "Die EU ist das vielleicht wichtigste Thema für unsere Zukunft", mahnt Scholz. Das sind genau die Botschaften, mit denen die SPD-Führung die Parteimitglieder jetzt landauf, landab bearbeiten will.

 

Er spricht darüber, wie wichtig Bildung und Ausbildung für die Zukunft junger Menschen sind. Er spricht über das Thema Migration, bei dem es „absolute Ehrlichkeit“ brauche. Allen, denen das nicht reicht, ruft Scholz dann noch zu, dass Computer ermittelt hätten, zwei Drittel der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag seien Forderungen aus dem SPD-Programm. Seinen stärksten Moment hat Scholz, als er sich einer Handvoll Jusos zuwendet, die während seiner Rede „No-GroKo“-Plakate in die Luft halten, und den Koalitionsvertrag entschieden ablehnen, der laut Scholz doch zu „zwei Dritteln das sozialdemokratische Wahlprogramm“ widerspiegelt. Man müsse sich doch nur die Diskussionen in der CDU ansehen, um zu merken, „dass wir das gut hingekriegt haben“, sagt Scholz. Doch auch aus einem anderen Grund müsse die SPD die GroKo noch einmal wagen. „Die Bürger würden es uns nicht verzeihen, wenn wir die Verantwortung nicht übernehmen“, ruft er den Jusos zu. Genau darum gehe es doch: Dass die Menschen es wieder wollten, „dass wir die Regierung stellen, dass wir den Kanzler stellen, dass wir zuständig sind“. Das Zelt applaudiert lange.

Es ist die wohl lauteste Minute in einem nüchternen, in Teilen fast ein bisschen nachdenklichen Auftritt. Etwa, wenn Scholz auch Selbstkritik übt. In den vergangenen Tagen hätten die SPD und ihre Führung „nicht die beste Performance“ abgeliefert, sagt er. Jetzt müsse es aber „wieder nach vorne gehen“.

 

Davon unbeeindruckt wirbt Scholz in Vilshofen vehement für den gerade mit der Union ausgehandelten Koalitionsvertrag: "Das ist ein guter Vertrag." Das zeige sich allein schon daran, wie groß das Entsetzen in der CDU darüber sei: "Man muss sich ja nur die Diskussion in der Union anschauen, dass wir es richtig hinbekommen haben." Die SPD habe erreicht, dass die "Schweinerei" bei den Kettenbefristungen von Arbeitsverträgen aufhören soll. Auch bei gebührenfreien Kitas und dem Recht auf eine Ganztagsbetreuung für Schüler hätten die Sozialdemokraten viel herausgeholt. "Wir sind die Partei des Volkes", ruft Scholz. Die bayerischen Genossen applaudieren freundlich.

 

Olaf Scholz warnt: „Die Bürger würden uns nicht verzeihen, wenn wir jetzt nicht verantwortlich handeln“. Zur Europapolitik sagte Scholz, dass diese zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik fortentwickelt werden müsse. „Darum müssen wir in den nächsten Jahren streiten und wir dürfen die Chance jetzt nicht vergehen lassen.“ Der Bürgermeister von Hamburg spricht über Trump, die FPÖ und die Bedeutung von Europa für Deutschlands Zukunft. „Wir dürfen die Probleme nicht leugnen, aber wir müssen sie auch gleichzeitig anpacken“, ruft er. Der Brexit, Donald Trump oder Marine Le Pen hätten vor Augen geführt, wie schnell sich Zeitfenster zur politischen Mitgestaltung schließen. „Jetzt ist das Zeitfenster, nicht in fünf Jahren, vielleicht gibt es dann keins mehr. Jetzt müssen wir handeln“, so Scholz.

 

Die Bürger müssten nun schnell wieder das Gefühl bekommen, dass das Land bei der SPD in guten Händen sei. Gerade in der europäischen Außenpolitik gebe es Chancen, in den kommenden Jahren etwas zu verändern. Mit den Führungsquerelen müsse nun Schluss sein. "Wir haben uns aufgestellt - und wir sind in der Lage, in Deutschland eine Regierung zu bilden und mit zu führen."

 

Scholz kommt gut an. Der Applaus fällt zwar an keiner Stelle frenetisch aus, aber immer wieder anhaltend und anerkennend. Besonnenheit, Verlässlichkeit, Vernunft. Scholz steht offensichtlich für genau das, wonach sie sich an der SPD-Basis gerade zu sehnen scheinen. Scholz versucht es auf die therapeutische Art: "Es geht nicht um die anderen. Es geht darum, was wir können", ermuntert er die Parteikollegen. Scholz ruft dazu auf, "optimistisch in die Zukunft zu ziehen".

 

Um kurz nach zwölf Uhr mittags ruft Olaf Scholz in das Bierzelt hinein: "So wie heute wünsche ich mir die SPD, eine Partei, die optimistisch ist." Der 59-Jährige, Erster Bürgermeister Hamburgs und seit gestern Übergangs-SPD-Chef, zitiert den Satz "Mit uns zieht die neue Zeit" aus einer bekannten Hymne der Partei. Wenn die SPD den Bürgern eine Perspektive bieten könne, sagt Scholz, dann gehe auch die Zukunft der Partei noch lange weiter. Minutenlang applaudieren die Genossen gegen die Krise. Mutmachklatschen im Bierzelt. Bemerkenswert ist es schon, wenn Sozialdemokraten nach den vergangenen Tagen von Optimismus sprechen.

 

Auf Landesebene ist Scholz aktuell der erfolgreichste Regierungschef der SPD. Nach seiner Zeit als Generalsekretär und Bundesminister wechselte er in die Hansestadt, holte dort 2011 auf Anhieb die absolute Mehrheit im Rathaus, vier Jahre später verfehlte er diese nur knapp. Wahlergebnisse von mehr als 40 Prozent holte die SPD früher auch im Bund, zuletzt ist es nur noch Scholz gelungen. Dennoch ist er nur mäßig beliebt in der eigenen Partei. Bei seiner Wiederwahl im Dezember wurde Scholz mächtig zurechtgestutzt und holte nur 59 Prozent. Er ist keiner, der das sozialdemokratische Herz erreicht, gilt als kühler Pragmatiker. Dennoch könnte sein Einfluss in der SPD bald zunehmen. Wenn die Parteibasis dem Koalitionsvertrag ihren Segen gibt, soll er Finanzminister und Vizekanzler werden. Er weiß, dass im Fall eines Neins beim Mitgliedervotum baldige Neuwahlen anstehen. Für die SPD angesichts von Umfragewerten deutlich unter 20 Prozent und knapp oberhalb der AfD ein Schreckensszenario.

 

Wenn der politische Aschermittwoch ein Stimmungstest für den Ausgang des Mitgliederentscheids über die Groko war, dürften die Koalitionsbefürworter frohen Mutes in die Zukunft schauen.
 

"Hört's jetzt mit den Spinnereien auf"

Fast den lautesten Applaus bekommt aber die Regener Landrätin und SPD-Aushängeschild aus dem Bayerischen Wald Rita Röhrl, die zum Schluss an die SPDler in Berlin appelliert: "Hört's jetzt mit den Spinnereien auf". Rita Röhrl spricht das Schlusswort beim Aschermittwoch in Vilshofen: Alle in der Partei müssten sich jetzt zusammenreißen. „Es macht keinen Spaß, morgens aufzuwachen und immer neu überlegen zu müssen, wer eigentlich Vorsitzender ist.“ Scholz applaudiert, mit hoch erhobenen Händen.

Und Rita Röhrl ist die Einzige, die es ausspricht: "Liebe Genossinnen und Genossen. Bitte stimmt beim Mitgliederentscheid für die große Koalition!", ruft sie der Anhängerschaft beim politischen Aschermittwoch in Vilshofen zu.

Die Botschaft: In der SPD hat man sich wieder lieb - und die Partei greift wieder an

Ganz zum Schluss beim Gruppenfoto auf der Bühne war das Bild, das die SPD am Politischen Aschermittwoch in Vilshofen an der Donau hinterließ, perfekt. Geschlossen standen die Genossen hinter Scholz und Kohnen.

Dass es nur wenig krachende Sprüche und dafür viel Ernsthaftigkeit zu hören gab, empfinden die meisten Gäste als angemessen.

Die Zuschauer, die von Reportern des Fernsehsenders Phoenix im SPD-Bierzelt befragt wurden, zeigten sich überwiegend sowohl GroKo-als auch Nahles-skeptisch ("zu schreiig"). Mehrmals kam zum Ausdruck, dass die gesamte Führungsmannschaft ausgetauscht werden sollte, weil man ihr nicht mehr zutraut, die Versprechen im Koalitionsvertrag durchzusetzen.

Das scheint der springende Punkt zu sein: Die Inhalte des Koalitionsvertrages kann man ja noch befürworten, allein es bleibt der Zweifel, ob die Führungsriege sich diesmal gegen die Union positionieren und die sozialdemokratische Linie vermitteln kann. Eine spannende Ausgangslage für die Fortsetzung der Großen Koalition, die durchaus Zündstoff in sich birgt. Hier die Union, deren Töne tendenziell (weil sich auch innerhalb der CDU der konservative Flügel vernehmbarer artikulieren wird) national-heimatbetonter werden dürften, dort die SPD, die entschieden auf der europäischen Klaviatur spielt. Das Ansehen der Parteiführung ist nach den vergangenen Tagen nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Partei schwer beschädigt – ohne dass irgendjemand wüsste, welchen Einfluss das auf den Ausgang des Mitgliedervotums haben kann.

Vielmehr ist Einkehr gefordert, eine Art politische Fastenzeit, in der die Parteien sich endlich wieder auf den Kern von Politik konzentrieren. Und der besteht nicht nur aus Machtkampf und Postengeschacher."

Der SPD-Mitgliederentscheid über den Koalitionsvertrag findet vom 20. Februar bis zum 2. März statt, das Ergebnis soll am 4. März verkündet werden. Bei einem Sonderparteitag im April soll SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles zur neuen Parteivorsitzenden gewählt werden. Am Dienstagabend wurde sie von den Spitzengremien der SPD einstimmig nominiert.

 

Natürlich wollen wir auch wieder einen Blick auf die politischen Mitbewerber werfen:

CSU: Seehofer meldet sich krank

Die CSU hält den Aschermittwoch in Passau ab. Dort sollte eigentlich der scheidende bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sprechen, der aber absagte. Offiziell wurde das mit einer Grippe begründet - in Sozialen Medien spekuliert man aber, ob die Absage auch etwas mit einer gestern bekannt gewordenen Civey-Umfrage für die Augsburger Allgemeine zu tun haben könnte, der zufolge sich 62,6 Prozent der bayerischen Wähler seinen vollständigen Abschied aus der Politik wünschen. Dass er neuer Bundesinnenminister werden soll, begrüßen lediglich 24,3 Prozent der Befragten.

Statt Seehofer sprachen dessen designierter Nachfolger Markus Söder und CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der in Passau ein Heimspiel hatte, in dem er auch ältere Sprüche wie "der Sozi ist an sich nicht dumm - er hat nur viel Pech beim Nachdenken" unterbrachte. Auch Söder schimpft über die "Chaostage" bei der SPD und ätzt: "Einmal Zwerg, immer Zwerg." Und er erklärt: "Mich nervt es, dass wir in Deutschland nur noch über die SPD sprechen. Die Union muss auch auf sich selber schauen." Er macht auch klar, wie er das künftig als Ministerpräsident angehen wolle: "Die Union darf sich nicht nur in der Mitte drängen und dauernd nach links schielen. Wir wollen auch die demokratische Rechte wieder bei uns vereinen." Der designierte Seehofer-Nachfolger Markus Söder muss die CSU zusammenschweißen. Im Herbst sind Landtagswahlen, und es gilt die Lufthoheit über den Stammtischen zu verteidigen – gegen die AfD.

Streckenweise hört sich Söders Rede weniger wie eine Aschermittwochsrede als eine Regierungserklärung an. "Das Bier ist billig, das Publikum willig: Es zelebriert den Politischen Aschermittwoch wie die vorgezogene Krönungsmesse von König Markus I. Der stellt klar, dass er Bayern ab Oktober allein regieren will. Um das zu erreichen, wird Söder seine Partei noch weiter rechts positionieren, auch wenn er das so nicht benannt haben möchte. Wichtige Themen wie Wohnen oder Rente streift er daher nur. Über Armut, die es auch im Freistaat gibt, verliert er kein Wort.

Migration und Innere Sicherheit überlagern alles. Im Saal erhält er dafür tosenden Applaus. Hier ist man der CSU treu. Aber draußen? Die Christsozialen sollten endlich begreifen, dass sie auch Wähler an FDP und Grüne verloren haben, weil diese die CSU-Asylpolitik für unchristlich halten. Da helfen kein Kreuz im Ministerium und keine Verfassungsänderung: Die holt man so nicht zurück. Und wer es deftig rechtspopulistisch mag, der wählt weiter das Original."

Freie Wähler

Die Freien Wähler haben auf ihrer Aschermittwochsveranstaltung in der Deggendorfer Stadthalle neben ihrem Vorsitzenden Hubert Aiwanger die Landtagsabgeordneten Michael Piazolo und Florian Streibl und den niederbayerischen Bezirksvorsitzenden Heinrich Schmidt reden lassen.

Dass die CSU-Landtagsfraktion inzwischen signalisiert hat, die oft zu unbilligen Härten führenden Forderungen der „Strabs“ selbst abschaffen zu wollen, ist für die Freien Wähler kein Anlass, mit dem Sammeln von Unterschriften aufzuhören. Sie "trauen der CSU nicht" und erinnern daran, dass sie sich bei der Wiederabschaffung des achtjährigen Gymnasiums fünf Jahre Zeit ließ. Skeptisch mach sie außerdem eine Reaktion des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann, der sich bislang weigert, die Gemeinden zu einem Stopp entsprechender Bescheide aufzufordern.

Bayernpartei

Die Bayernpartei hofft für die Landtagswahl im Herbst auf Rückenwind von anderen europäischen Separatisten und Autonomisten (die sie am 13. April zum Generaltreffen der Europäischen Freien Allianz nach Landshut eingeladen hat), auf ein neues Lebensgefühl, wie es beispielsweise Don Alphonso zum Ausdruck bringt, und darauf, dass viele Bürger die Etablierten in Bayern nach der erneuten großen Koalition im Bund möglichst sichtbar abstrafen wollen.

Dorn orientierte sich rhetorisch eher an Franz Josef Strauß, bezeichnete Peter Altmaier als "fleischgewordenen Luftballon" und meinte, die SPD brauche keine kommissarische Vorsitzende, weil eine "Trümmerfrau" reichen würde. Das einzige, was die Große Koalition noch zusammenhält, ist seiner Ansicht nach der "Klebstoff an den Sesseln".

 

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