Historischer Themennachmittage im Labertal

Veröffentlicht am 26.01.2010 in Allgemein

Beim Ortstermin in der Schierlinger MUNA

Die Schierlinger MUNA 1945 - Viele Zufälle, die ein Wunder waren

Historiker Rainer Ehm referierte zum Auftakt der Vortragsreihe „Historische Themennachmittage“ des SPD-Arbeitskreises Labertal zur Geschichte des Munitionshauptdepots in Schierling.

Es war ein spannender Vortrag des Historikers Rainer Ehm aus Regensburg, dem am 24. Januar die Besucherinnen und Besucher von Langquaid bis Geiselhöring gespannt lauschten. Rainer Ehm, beruflich Kurator des Regensburger Schiffahrtmuseums und ehrenamtlich Landesgeschäftsführer des Arbeitskreises verfolgter Sozialdemokraten (AvS) in der BayernSPD, hatte schon in den 80er Jahren zusammen mit dem Bayerischen Rundfunk zahlreiche Zeitzeugen zu den Ereignissen in den letzten Kriegswochen und zur kampflosen Übergabe der Luftmunitionsanstalt, so die offizielle Bezeichnung 1945, befragt. Neue Erkenntnisse ergaben sich in den letzten 25 Jahren beim Durchstöbern diverser Militärarchive und die Zuhörer, darunter viele ehemaligen MUNA-Beschäftigte und zwei „Nordlichter“ aus Hamburg, erwarteten gespannt die Ergebnisse. Dipl. Ing. Jan Ritter und dessen Gattin reisten extra für den Vortrag aus Hamburg an und hatten sich schon am Vortag bei der Ortsbesichtigung des ehemaligen Munitionsdepots als ausgewiesene Experten gezeigt, deren Steckenpferd die Geschichte und die Organisation der stillgelegten, wie der noch im Betrieb befindlichen, Munitionsdepots in ganz Deutschland sind.

„Es gibt Themen, die lassen einen einfach nicht mehr los – und es gibt scheinbar ein Schicksalsdatum, dass mit der Region um Schierling eng verbunden ist: die Tage vom 22. bis 24. April, die nicht nur 1809 unter Napoleon für die Region bedeutend waren, sondern auch 1945“. Rainer Ehm sprach gleich zu Beginn seiner Ausführungen von einer „unglaublichen Verkettung von Zufällen, die in der ganzen Region um das Depot herum eine massive Katastrophe verhindert haben.“ Man könne auch, mit Blick auf den Schierlinger Gelübdetag, durchaus von einem Wunder sprechen, so der Referent.

Ursprünglich war die Luftmunitionsanstalt 2/VII seit 1937 ein „Konfektionierungsbetrieb“, in dem aus vielen Komponenten konventionelle Bomben und Granaten zusammengebaut und einsatzfähig gemacht wurden. Ab dem Sommer 1944, als die Niederlage immer offensichtlicher wurde und die anrückenden Alliierten immer weiter vorrückten, seien mehr und mehr chemische Kampfstoffe aus aufgelösten Depots in der MUNA Schierling angeliefert worden. Alle kriegsführenden Länder des 2. Weltkrieges hätten über große chemische Kampfstofflager verfügt, aber die Erfahrungen des 1. Weltkrieges hätten die Verantwortlichen auf beiden Seiten von einem Einsatz abgehalten. Außerdem wäre die Reichswehr gar nicht mehr in der Lage gewesen, diese Kampfstoffe noch großflächig einzusetzen, so Rainer Ehm, von Verzweiflungshandlungen oder einer Strategie der verbrannten Erde einmal abgesehen. Andererseits ordnete ein Führerbefehl an, dass die Giftgas-Bestände auf keinen Fall in die Hände der vorrückenden Feinde fallen dürften: Deshalb seit Herbst 1944 die massive Anlieferung von chemischen Kampfstoffen im Munitionsdepot und die offene Frage ihrer Zukunft in den letzten Kriegswochen, nämlich Abtransport, Vernichtung an Ort und Stelle oder Verteidigung mit den dann unvermeidlichen Kampfhandlungen und dem großen Zerstörungsrisiko, dass für die ganze Region zur Katastrophe hätte werden können.

Warum die Lage für die Region so kritisch und gefährlich war, schilderte Rainer Ehm ausführlich anhand der militärischen Vorgänge im April 1944, als eine ganze Reihe von zentralen Logistikeinrichtungen des NS-Regimes und der Reichswehr von Berlin in die Region verlagert worden waren. Die komplizierte militärische Lage sei durch die Präsenz des 17. SS-Korps, berüchtigt durch das Massaker im französischen Oradour und dessen kampffähige Truppe, die „Nibelungen“-Division, aus vielen überzeugten Hitler-Jungen bestand, zusätzlich brisant geworden. Die Grenze zwischen Heereskorps und SS-Korps war der östliche Zaun der Schierlinger Luftmunitionsanstalt.

Der vierte Gefahrenfaktor neben SS-Korpr, Heereskorps und Gauleitung sei der Kommandant des Munitionsdepots selbst gewesen, der zu seiner Verteidigung einen doppelten Bombenring legen habe lassen und der eine Sprengung der MUNA in Betracht gezogen habe , schilderte Rainer Ehm.

Ein weiterer Gefahrenfaktor seien die Giftgastransporte per Bahn in Richtung Straubing, wo die bei Schierling lagernden Giftgasbehälter und -granaten auf Donaukähne umgeladen wurden, und die z.T. offen im Gelände liegende oder hastig vergrabene Giftgasmunition gewesen. Hinzu kamen die anrückenden Amerikaner, die allerdings zur Eroberung von Regensburg eine Strategie gewählt hätten, die Kampfhandlungen im südlichen Teil vermieden habe. Auf Grund der großen Präsenz von Hardlinern und fanatischen „Endkämpfern“ in der Region wären eigentlich Kampfhandlungen mit der großen Zerstörungsgefahr zu erwarten gewesen.

Dass es dazu aber nicht gekommen sei, sondern die Einsicht gesiegt habe, das Depot kampflos den amerikanischen Truppen zu übergeben, schilderte Rainer Ehm im letzten Teil seines Vortrages. Die Möglichkeit sei die Ausflaggung einer „weißen Zone“ um das Depot herum gewesen, aus der sich alle Soldaten, der Volkssturm oder sonstige „Verteidiger“ zurückziehen mussten. Die Schwierigkeit für den beauftragten Offizier sei gewesen, den zuständigen Korps-Stab zu finden, um den entsprechenden Befehl zu erhalten sowie die richtige amerikanische Einheit zu finden um die kampflose Übergabe der „weißen Zone“ zu regeln, was dann am 29. April erfolgt sei.

Über 10.000 Tonnen der Kampfstoffe - Senfgas, Phosgen und Tabun - seien dann in den Monaten nach Kriegsende von Schierling abtransportiert worden, „ein Teil befindet sich am Grund der Ostsee, ein anderer „ruht“ nach einer Irrfahrt über St. Georgen und Traunreut in einem Bunkersystem bei Toblach in Südtirol, viel wurde abgefackelt und vernichtet“, so Rainer Ehm zum Schluss seiner Ausführungen.

Hartmut Gust schilderte anschließend die letzten Tage bis zum Einmarsch der amerikanischen Truppen, die er als achtjähriger Bub erlebt habe. Hans-Peter Stöckl verwies in seinem Beitrag auf die Rolle von Pfarrer Laubmeier bei der Rettungsaktion. Es kamen auch die Gründe zur Sprache, warum die damaligen Landräte aus Mallersdorf und Rottenburg lieber eine Einrichtung der neu aufgestellten Bundeswehr als eine „Vertriebenensiedlung“ auf dem ehemaligen Muna-Gelände haben wollten. Armin Buchner und die stellvertretende Ortsvorsitzende Madlen Melzer sowie der Sprecher des SPD-Arbeitskreises Labertal, Rainer Pasta, bedankten sich beim Referenten mit einem Schierlinger Geschenkkorb. Jetzt sei die Nachnutzung der MUNA eine große Herausforderung für die beiden Marktgemeinden und die ganze Region, betonte Ortsvorsitzender Armin Buchner. „Die SPD wird sehr genau schauen, was sich hier tut und den Prozess konstruktiv begleiten“.

 

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